Die 1970er Jahre – Teil 2


1973 entsteht das Album ‚Lieber John‘. Anders als 1972 verzichtet man dieses Mal auf eine Übersetzung ihrer französischen LP, sodass Mary die Welt in diesem Jahr mit zwei tatsächlich unterschiedlichen Alben beglücken kann, – was jedoch zur Folge hat, dass ihr in Deutschland ein gelegentlich notwendiger Hit fehlt. Steigen die französischen Singles ‚L’animal en blue-jeans‘ und ‚Viva‘ sogar in die israelischen Hitparaden ein, bietet das deutsche Album zwar teilweise schöne Kompositionen von Autoren wie Peter Maffay oder Les Humphries und durchgängig sehr gute Tete aus der Feder von Michael Kunze (z. B. ‚Ein Freund, mein Freund‘), andererseits aber zu wenig Material für die Charts. Nichts desto trotz ist Mary Roos Stargast beim „Gala-Abend der Schallplatte“ auf der Berliner Funkausstellung. Den verspäteten deutschen Erfolg liefert sie 1974 mit dem avantgardistischen ‚Hamburg im Regen‘ nach. Ein Jahr später nimmt Mary zum dritten Mal an einer Grand Prix-Vorausscheidung teil und erreicht mit ‚Eine Liebe ist wie ein Lied‘ den dritten Platz. An Joy Fleming und deren ‚Ein Lied kann eine Brücke sein‘ kommt keiner der prominenten Mitstreiter heran, darunter Katja Ebstein, Séverine, Peter Horton, Marianne Rosenberg, Jürgen Marcus und Peggy March. Die Regenbogenpresse jedoch rätselt in den nächsten Wochen gerne was gewesen wäre, hätte Mary nicht mit hohem Fieber vor der Kamera gestanden.

 

 

Überhaupt lebt Mary nach einem Schwächeanfall laut den Printmedien jetzt mitunter allein von Spritzen und Medikamenten. Vielleicht war sie in letzter Zeit tatsächlich ein bisschen zuviel unterwegs und ist des Herumreisens müde geworden. Ihre eigene Situation deckt sich jedenfalls mit den äußeren Umständen: Die Discowelle überrollt die Musikmärkte und Schlager und Chansons werden an den Rand des Interesses gedrängt. Mary Roos und das Label CBS trennen sich. Mary unterzeichnet einen Vertrag bei der Polydor und konzentriert sich fast ausschließlich auf ihre deutsche Karriere, – zumal sie niemals in Erwägung gezogen hatte, dauerhaft in Frankreich zu leben. Später wird sie einmal sagen, dass sie diese Entscheidung manchmal ein bisschen bereut. Andererseits ist die unterschiedliche Entwicklung der französisch- und der deutschsprachigen Musikbranche zu diesem Zeitpunkt kaum abzusehen und so veröffentlicht Mary 1977 letztmalig eine französische Produktion ( ‚Mon coeur tu bats‘ ). Auch Mary Roos‘ Privatleben ändert sich Mitte der 70er: Marys Beziehung zu Werner Böhm entsteht. Sie trennt sich von ihrem Ehemann und Manager Pierre Scardin.

 

 

In beruflicher Hinsicht ergreift Mary Roos in den späten 70ern die Flucht nach vorn: Während die meisten ihrer Kollegen und Kolleginnen wahlweise auf den vorbeifahrenden Discozug aufspringen oder in der Versenkung verschwinden, spielt sie unter der Regie von Samy Molcho im Frühjahr 1976 am Stadttheater Münster die Rolle der Magnolia in dem Musical ‚Showboat‘. Daneben produziert sie bis 1978 in schöner Regelmäßigkeit jährlich eine neue LP, z. B. ‚Ich bin Mary‘ mit ‚Ich bin Mary und nicht Jane‘ . Die TV-Show zur 78er-Produktion ‚Maryland‘ – mit Nummern wie ‚Samba d’amour ‚ und ‚Schließ mich ein in deinen Traum‘ – wird trotz oder gerade wegen des fehlenden Discosounds von nicht weniger als 25 Ländern eingekauft. Aber es gibt noch eine andere Fernsehsendung, die gegen Ende der 70er-Jahre eine Auszeichnung in Marys Karriere darstellt: Mary Roos darf für sich verbuchen, dass sie als einzige deutsche Persönlichkeit von der BBC für die legendäre Muppet-Show engagiert wird. Zum Ende des Jahrzehnts wechselt Mary zum Label Hansa und erzielt mit ‚Ich werde geh’n heute Nacht‘ nach langer Zeit endlich wieder einen Hit.

Die 1970er Jahre – Teil 1