Die 1970er Jahre – Teil 1


Alles in allem ist Mary Roos zwar in den 60er-Jahren kontinuierlich auf Festivals und in den Medien präsent, das aber tendenziell als B-Sängerin. Sie ist durchaus bekannt, bislang jedoch eher mäßig erfolgreich. Obwohl Toningenieure, Autoren, Produzenten und Kritiker über alle Maßen von Marys Talent überzeugt sind, lässt der große Durchbruch auf sich warten. Doch am Ende des Jahrzehnts leitet ein privates Ereignis einen beruflichen Wandel ein: Mary Roos heiratet den Franzosen Pierre Scardin, der in den nächsten Jahren erfolgreich als ihr Manager tätig ist.

Bei ihrer ersten Teilnahme an einer deutschen Grand Prix-Vorausscheidung mit dem Titel ‚Bei jedem Kuss‘ kommt Mary Roos 1970 zwar in die Endrunde, muss sich aber letztlich gegen Katja Ebstein geschlagen geben. Auch tritt sie hier noch als Sternchen und nicht als Star auf, was sich aber schon wenige Wochen später ändern soll: Giorgio Moroder produziert mit Mary ‚Arizona Man‘ . Der Song ist eine kleine Sensation, da zum allerersten Mal bei einer Musikproduktion Synthesizer eingesetzt werden. Und der Titel hält sich 22 Wochen in den Verkaufs-Charts und dringt dort bis auf Platz 2 vor.

 

 

Nun endlich beginnt Mary Roos‘ Aufstieg in die vordere Liga: Das zu dieser Zeit größte internationale Label CBS nimmt sie unter Vertrag. Unter der Regie von Michael Holm nimmt sie 1970 ihr erstes ‚echtes‘ Solo-Album – mit Songs wie ‚Blauer Montag‘ und ‚So leb dein Leben‘ – auf und verleitet damit Marc Gordon, Manager der Fifth Dimension, zu der begeisterten Aussage ‚Die würde ja auch in Amerika groß rauskommen!‘ Mary wird in diesem Jahr zur zweitbeliebtesten deutschsprachigen Sängerin nach Mireille Mathieu gekürt, ist deutscher Gast bei der Unicef-Gala in Osaka, wo sie neben Sacha Distel, Peter Ustinov, Marlon Brando und anderen Weltstars auf der Bühne steht und erhält 1971 mit ‚Marys Music‘ eine eigene, regelmäßige Personalityshow im deutschen Fernsehen.

Fast zeitgleich beginnt Mary Roos‘ Karriere in Frankreich. Zunächst spielt sie an der Seite von Michel Fugain die weibliche Hauptrolle in dem Musical ‚Un enfant dans la ville‘ (‚Dépêche-toi‘ ), das 1971 vom französischen Fernsehen und der BBC verfilmt wird.

 

 

1972 betritt Mary Roos mit ‚Nur die Liebe lässt uns leben‘ die internationale Bühne beim Grand Prix Eurovision. Obwohl Mary mit ihrem Beitrag als erste Teilnehmerin an den Start gehen muss, erreicht sie einen hervorragenden dritten Platz und das bis dahin beste Endergebnis für Deutschland. Mary, die eigentlich kaum an den Erfolg ihres Liedes glauben mag (Jan Feddersen: ‚Ein konventioneller Schlager, der erst durch die Persönlichkeit der Sängerin zum Juwel werden konnte‘), schreitet in völlig unbekümmerter Manier vor die Kameras, singt ab dem ersten Ton wie entfesselt und bietet den Zuschauern eine nur schwer zu übertreffende Performance. Insgesamt agiert sie derart bravourös, dass sich die Franzosen glücklich schätzen können, Mary zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem eigenen Programm für das Pariser Olympia verpflichtet zu haben. Die sich an den Grand Prix unmittelbar anschließenden Vorstellungen im Olympia sind folgerichtig drei Wochen lang ausverkauft. Mary, der man in Frankreich kaum glauben will dass sie Deutsche ist, nimmt ihr erstes französisches Soloalbum auf – mit Titeln wie ‚L’autoroute‘ und ‚Si tu te rappelles‘ – und begeistert die Fachwelt bei der Midem-Musikmesse in Cannes.

Als böte ihr das alles nicht genug Entfaltungsmöglichkeiten, nimmt Mary Roos zudem am Songfestival in Rio teil. In Deutschland erscheint der Longplayer ‚Woraus meine Lieder sind‘, der zu großen Teilen aus Coverversionen ihrer französischen LP besteht – so zum Beispiel der Track ‚Morgens um fünf‘ – und wahrscheinlich aus diesem Grund noch heute viel Beachtung findet. Auch in den kommenden Jahren zieht Mary es vor, Chansons und Schlager mit einem gewissen Anspruch zu singen. Sie gehört zu den präsentesten und renommiertesten Interpreten der Siebzigerjahre und zu der kleinen Garde derjenigen, die auch jenseits der „ZDF-Hitparade“ große Beachtung finden.

Die 1970er Jahre – Teil 2